4. Auf Michaelis' Tod

[170] Oktober 1772.


Durchbraust des Herbstthals Öde gewaltiger,

Ihr kältern Wind'! Und die du mit schwarzem Schau'r

Mich überdeckst, o Espe, säusle

Lauter herab mit verwehtem Laube!


Entsteigt den Gräbern, schlummernde Geister, schwebt,

In weißer Hülle, wimmernd und totenbleich

Um meine Klagen, bis der Frühe

Dämmerung euch zu der Gruft zurückscheucht!


Ach Michaelis! – Stürze die Wang' hinab,

Du Thränenstrom! – Im Schweigen des Grabs auch du,

Mein Michaelis? – Patrioten

Weinen, und Boie zerfließt in Thränen.
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Ha! Tod, du schwarzer Mörder! Wie viele traf

Dein Schlachtschwert schon der blühendsten Hoffnungen

Im deutschen Eichenhain! Auch diesen

Würgtest du, welcher begann, und groß war?


Mein armes Deutschland! Der, mit geweihtem Spiel,

Empfindung deinen Töchtern und Tugend sang,

Der nie mit Gift den Strom des Wohlklangs

Tückisch vermischte – der stirbt, ein Jüngling!


Der, mit dem heitern Lächeln des Phrygiers,

Ein Sittenlehrer horchender Knaben war,

Der kühn den Frevel mit gehobner

Geißel verfolgte – der stirbt, ein Jüngling! –


Doch unwert dieses Jünglinges warst du, Land,

Das seines Volkes Ehre verkennt, voll Durst

Nach Arouets Geklingel lechzet,

Daniens Königen Klopstocks Lied gönnt.


Drum trockne, Boie, trockne die Thränen ab,

Denn unwert dieses Jünglinges war dies Land!

Ihn rief zur Sternenburg Jehovah,

Dort in der Strahlenden Chor zu jauchzen!


Quelle:
Deutsche Nationalliteratur, Band 49, Stuttgart [o.J.], S. 170-171.
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