Gottselige Betrachtung, wie ein rechtschaffener Christ sich selber müsse hassen, verleugnen und sich Gott, dem höhesten Gute, allein gelassen

1.

Wer Christum recht wil lieben,

Muß selbst verleugnen sich

Vnd gäntzlich von sich schieben

Der alten Schlangen Stich:

Ich meyne solche Lust,

In der wir uns gefallen,

Wie Adams Kindern allen

Dieselb ist wol bewust.


2.

Wer sich nicht selbst wil hassen

Und seiner Wercke schein,

Kan Christum nimmer fassen

Noch auch sein Diener seyn;

Denn wer in Gottes Hauß

Mit gantzer Macht wil dringen,

Der muß vor allen Dingen

Die Hoffart treiben auß.


3.

Wie nicht zur Frucht kan werden

Das edle Weitzen-Korn,

Es sey denn in der Erden

Durch faulen schier verlohrn:

So wil der höchste Gott

Auch keinem nicht erscheinen,

Biß er durch kläglichs weinen

Sich selber wird zum Spott.
[201]

4.

Geh' aus von deinem Lande,

Sprach Gott zu Abraham;

O Mensch', in diesem Stande

Spring' aus dem Sünden-Schlam'.

Ach denck' jetzt, wer du bist

Und wie du Gott betrübest,

Wo du dich selber liebest?

Fürwar, kein rechter Christ.


5.

Gleich wie es nie geschehen,

Daß einer hat zugleich

Gen Himmel auffgesehen

Und nach der Erden-Reich,

So kans auch gar nicht seyn,

Sich neben Gott zu setzen

Und dem sich gleich zu schätzen;

Gott wil die Ehr' allein.


6.

Das höchste Gut im Leben,

Dem Menschen zugewand,

Daß Gott uns hat gegeben,

Ist Liebe nur genandt;

Diß höchste Gut ist Gott,

Dem solt du dich zu kehren,

Allein' jhn zu verehren

Und nicht des Satans Rott.


7.

Was du von Hertzen meynest,

Ist dir an Gottes statt;

Wenn du es gleich verneinest,

So zeugt es doch die That.

Der, so sich liebt zu sehr,

Darff über Gott sich heben,

Dem Schöpffer widerstreben

Und rauben jhm sein' Ehr'.


8.

Ist Gott, wie wir bekennen,

Der Anfang und das Ziel,

Daß A und O zu nennen,

Was zweifflen wir denn viel,

Leib, Leben, Hertz und Muht

Allein' jhm zuzuwenden?

Denn er wil vns ja senden

Sich selbst, das höchste Gut.


9.

Laß dich die Lieb' entzünden,

Nicht die vergänglich ist,

Als die, so leicht zu finden

Im faulen Sünden-Mist.

Ach nein, diß Ungeheur

Sol alle Welt verfluchen.

Wir Christen wollen suchen

Ein besser Liebes-Feur.


10.

Daß Feur bleibt nicht auf Erden,

Es schwinget sich hinauff

Und wil erhöhet werden

Durch seinen schnellen Lauff;

Der Liebe Feur in dir,

Das sol vor allen dingen

Sich in den Himmel schwingen

Mit himlischer Begier.


11.

Noch wil ich ferner lehren,

Wie der, so Christum liebt,

Sich gar nicht sol verehren,

Als der jhm selber gibt,

Was Gott' allein gebührt.

Wer dessen Lob nicht suchet,

Derselb' ist gantz verfluchet,

Der Hellen zugeführt.


12.

Die schöne Leibes Gaben,

Verstand, Glück, Ehr' und Geld

Sampt allem, was wir haben,

Hat Gott uns zugestellt.

Weil diese Brünnelein

Nun sich aus jhn' ergiessen,

So müssen sie auch fliessen

Zum selben Meer hinein.


13.

Gleich wie der Sonnen Strahlen,

Wen sie mit vollem Lauff'

Ein gantzes Land bemahlen,

Viel Blümlein schliessen auff,

Die wiedrumb suchen sehr

Die Sonn' ans Himmels enden:

So solt du alles wenden

Zu Gottes Preiß' und Ehr'.


14.

Als jenner König lobte

Die Babel, seine Macht,

Und gleich für Freuden tobte

Voll Hoffart, Stoltz und Pracht,

Da ward er toll und wild.

Das heist sich selber lieben;

Diß ist, O Mensch, geschrieben

Der Welt zum klaren Bild.
[202]

15.

Ach stelle deinen Willen

Nach Gottes Willen an,

Der deine Bitt' erfüllen

Und dich erhöhen kan.

Doch zeug' es mit der That:

Dein Fleisch must du bezwingen,

Denn wirst du vollenbringen,

Was Gott befohlen hat.


Quelle:
A. Fischer / W. Tümpel: Das deutsche evangelische Kirchenlied des 17. Jahrhunderts, Band 2, Hildesheim 1964, S. 199-203.
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